Nachhaltig
Das grosse Dilemma
Die Website ist ein Versuch, das Bewusstsein für Nachhaltigkeit zu schärfen und die Dringlichkeit von Massnahmen aufzuzeigen.
Wir stehen einer Sprachlosigkeit gegenüber und wissen nicht, wie sie überwinden, um die Realität begreifbar zu machen, den Ernst der Lage angemessen zu beschreiben...
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Wie bei einem Fieberanfall ist die globale Erderwärmung ein Symptom für ein tieferes Malaise...
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Der rasche Rückgang der Biodiversität ist ein ernsthaftes Risiko für die Ernährungssicherheit der Menschheit...
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In den am stärksten betroffenen Ländern sind durch Umweltverschmutzung bedingte Krankheiten für mehr als jeden vierten Todesfall verantwortlich...
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Wir brauchen ganz andere Antworten auf die Umwelt- und Klimafragen, als die der vergangenen 40 Jahre...
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Die Digitalisierung verändert fast jeden Aspekt unseres Lebens, während Nachhaltigkeit in den meisten Bereichen noch nicht Realität geworden ist...
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Ohne Wachstum geht es nicht, komplett grünes Wachstum gibt es nicht, und normales Wachstum führt unausweichlich in die ökologische Katastrophe...
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Die Anreize im heutigen Wirtschaftssystem fördern immer noch einseitig die Ausbeutung von Natur und Mensch...
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Die Frage ist nicht wie? Die Frage ist, wann entscheiden wir uns nachhaltiger zu wirtschaften?...
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Wo stehen wir?
© Alexander Sviridov | Shutterstock, Inc. [US] 2021
Wir stehen einer Sprachlosigkeit gegenüber und wissen nicht, wie sie überwinden, um die Realität begreifbar zu machen, den Ernst der Lage angemessen zu beschreiben.
Übersetzt von George Marshall. Don't Even Think About It - Why Our Brains Are Wired to Ignore Climate Change. 2014
Eine ganze Gesellschaft hängt fest zwischen dem Gefühl von drohender Katastrophe und der Unfähigkeit, sich dieses Gefühl einzugestehen.
Zitat von Joanna Macy, Ökophilosophin, Aktivistin und Systemwissenschaftlerin.
Was wir jetzt mit dem Klimawandel erleben, hat schon katastrophale Auswirkungen. Aber das ist nichts dagegen, was uns erwartet, wenn wir einfach so weitermachen.
Es ist ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Man kann es in etwa damit vergleichen, bei dichtem Nebel auf der Autobahn mit Höchstgeschwindigkeit zu fahren.
Klimaforscher Mojib Latif. In: Ulrike Hagen. «Alles Bisherige übertroffen»: Klimaforschende über aktuelle Entwicklungen beim Wetter. Frankfurter Rundschau. 03.11.2023
Wir lassen uns auf ein Experiment ein, von dem sicher ist, dass es scheitern wird. [...] Weltweit läuft dieses gigantische Experiment, das von der Hypothese ausgeht, grenzenloses Wachstum sei auf einem begrenzten Planeten möglich.
Harald Welzer. Alles könnte anders sein - Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen. 2019.
Wenn wir die Natur besiegt haben, werden wir uns auf der Verliererseite wiederfinden.
Zitat von Konrad Lorenz, Biologe und Nobelpreisträger
Die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung stehen fest [UNO Agenda 2030 mit 17 Zielen]. Wir wissen aber aktuell nicht, unter welchen Bedingungen es der Menschheit gelingen kann, die Massnahmen zur Erreichung dieser Nachhaltigkeitsziele global auch wirklich umzusetzen.
Christian Berg. Ist Nachhaltigkeit utopisch? Wie wir Barrieren überwinden und zukunftsfähig handeln. 2020.
Nachhaltigkeit ist in aller Munde, sowohl in Politik, Wirtschaft und im Privaten. Jeder kann sich unter dem Begriff etwas vorstellen und setzt dabei andere Schwerpunkte. Der Begriff läuft somit Gefahr, «Alles und Nichts» zu bedeuten.
Agentur für Forschung. 2019. Wahrnehmung von "Nachhaltigkeit" - Bericht zur qualitativen Studie. Mannheim, 05. September 2019
Wir sollten versuchen, statt Nachhaltigkeit - was ein Wunschtraum ist - Resilienz erreichen.
Eine der Folgen des Strebens nach Wachstum ist das Bedürfnis nach mehr Effizienz. Wenn man aber Dinge tut, um die Effizienz zu steigern, verringert man fast zwangsläufig die Widerstandskraft.
Aus dem Interview mit Dennis Maedows, der vor 50 Jahren mit «Grenzen des Wachstums» berühmt wurde. In: Urs Reichardt und Marlene Weiss. Der westliche Lebensstil wird nicht mehr lange fortbestehen. Leben und Gesellschaft. Heft 7/22. 2022.
© Ulrich Brunner 2023. Hintergrundbild © ittipon | Shutterstock, Inc. [US] 2018
Die vergangenen Jahrzehnte haben vielen Menschen einen beispiellosen Wohlstand beschert. Dafür zahlt unser Planet und mit ihm eine unvorstellbar grosse Zahl von Menschen aber einen hohen Preis.
Dies ist das historisch Neue an der gegenwärtigen Situation. Während wir immer näher an den Rand der ökologischen Grenzen rücken - der Bedingungen, unter denen unsere Spezies gedeihen kann - untergräbt die Entwicklung der reichen Welt systematisch die Überlebensbedingungen von Milliarden von Menschen in der klimatischen Gefahrenzone.
Sie werden nicht so sehr ausgebeutet oder umgangen, sondern sind Opfer der klimatischen Auswirkungen des Wirtschaftswachstums, das anderswo stattfindet. Diese gewaltsame und indirekte Verstrickung ist in ihrer Qualität und ihrem Ausmass neu.
Übersetzt von Adam Tooze. Global conferences such as the upcoming Cop28 may seem like staid and ritualistic affairs. But they matter. The Guardian 23.11.2023
Der Druck der globalen Mittel- und Oberschichten auf lebenswichtige ökologische Systeme unseres Planeten ist inzwischen so stark geworden, dass eine klimatische und ökologische Destabilisierung der Erde begonnen hat. Diese Destabilisierung gefährdet die ökologischen Lebensgrundlagen, zu denen unter anderem ein stabiles Klima, eine funktionsfähige Biosphäre, die ausreichende Verfügbarkeit von sauberem Wasser, gesunde Böden und saubere Luft gehören.
Suffizienz als «Strategie des Genug» - Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2024.
Mehr als zweihundert Jahre lang von den fossilen Ablagerungen des Karbons zu leben, hat uns in dem falschen Glauben gewiegt, eine ebenso grenzen- wie endlose Zukunft zu haben - eine Zukunft, in der alles möglich ist, ohne dass wir dafür eine allzu grosse Rechnung präsentiert bekommen. [...].
Wir haben diese Ära «Zeitalter des Fortschritts» getauft. Der Klimawandel ist nun die Rechnung, die heute fällig ist.
Jeremy Rifkin, Ökonom und Publizist. Der globale Green New Deal. Warum die fossil befeuerte Zivilisation um 2028 kollabiert - und ein kühner ökonomischer Plan das Leben auf der Erde retten kann. 2019
© Yupa Watchanakit | Shutterstock, [US] 2023
Unsere Wirtschafts- und Lebensweise haben weltweit grosse Umweltbelastungen sowie den Klimawandel zur Folge und gefährden zunehmend unsere Lebensgrundlage und das Zusammenleben auf der Erde.
Sogar im
Global Risk Report 2022 des Weltwirtschaftsforums WEF sind fünf der sechs
grössten globalen Risiken ökologische und das sechste die Massenvernichtungswaffen.
Wie zum Beispiel:
- Extreme Wetterereignisse mit grossen Schäden an Eigentum, Infrastruktur und Menschenleben.
- Versagen von Regierungen und Unternehmen bei der Eindämmung des Klimawandels und der Anpassung an den Klimawandel.
- Grosser Verlust an biologischer Vielfalt und Zusammenbruch von Ökosystemen an Land oder im Meer mit irreversiblen Folgen für die Umwelt, was zu einer starken Erschöpfung der Ressourcen für die Menschheit und die Industrie führt.
© Andrey_Kuzmin | Shutterstock, [US] 2023
Keine kommende Katastrophe wurde je so gründlich untersucht wie die Erderwärmung. Und keine wurde je so gründlich ignoriert.
Die erste Weltklimakonferenz fand in Genf bereits im Jahr 1979 statt. Seit 1995 finden jährlich Weltklimakonferenzen statt und doch nehmen die globalen Treibhausgas-Emissionen jedes Jahr weiterhin zu.
Der sechste Report 2022 des Intergovernmental Panel on Climate Change unterstreicht, dass die Einhaltung des Pariser Abkommens sowie andere vom Menschen verursachte Umweltkrisen wie der Verlust der biologischen Vielfalt einen radikalen und sofortigen sozial-ökologischen Wandel erfordern.
Die Einsicht, dass ein dramatischer Wandel notwendig ist, ist keineswegs neu, denn bereits vor 50 Jahren haben Wissenschafter in Grenzen des Wachstums diese Notwendigkeit beschrieben. Trotz dieses Wissens wurden bisher wenig nennenswerte Massnahmen ergriffen.
Quelle: Halliki Kreinin etal. 2024. Transforming provisioning systems to enable 1.5° lifestyles in Europe? Expert and stakeholder views on overcoming structural barriers, Sustainability: Science, Practice and Policy, 20:1, 237212
Am Klimagipfel 2021 in Glasgow hatten die Staaten festgehalten, die globalen Treibhausgas-Emissionen bis 2030 im Vergleich zum Stand 2010 um 45 % zu senken. Damit sollte die Erderwärmung unter 2°C begrenzt werden.
Untersuchungen zur Wirksamkeit der bisherigen Verpflichtungen der Staaten zur Reduktion ihrer Emissionen zeigen jetzt aber: würden sie in diesem Umfang umgesetzt, dann wären die globalen Emissionen 2030 nicht niedriger, sondern rund 9 % höher als im Jahre 2010.
Übersetzt von United Nations – Climate Change. New Analysis of National Climate Plans: Insufficient Progress Made, COP28 Must Set Stage for Immediate Action. 14. November 2023.
Für die jungen Leute, die in den Statistiken als besorgt oder extrem besorgt auftauchen, sind die Meldungen über die Klimakrise nicht annähernd so deprimierend wie die Tatsache, dass diese Meldungen ignoriert werden.
Daniel Graf. Ja, Zukunftslust, verdammt! REPUBLIK 14.02.2023
© klublu | Shutterstock, [US] 2023
Die Ungleichheit bei Vermögen, Ressourcenverbrauch und CO2-Ausstoss zwischen den Ländern und auch innerhalb der Gesellschaften ist enorm.
Die Ungleichheit der globalen Arbeitsteilung führt zu einer unfassbaren Verlogenheit in der Klimadebatte, bei der die Länder des globalen Südens für den Raubbau an ihrer Natur verantwortlich gemacht werden, obwohl der Nutzen davon zu grossen Teilen dem globalen Norden zugutekommt, der zudem den Raubbau mit seiner Technologie und seinem Finanzkapital erst ermöglicht.
Beckert Jens. 2024. Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht.
Das reichste 1 % der Menschheit ist für mehr Kohlendioxidemissionen verantwortlich als die ärmsten 66 %, was schwerwiegende Folgen für schutzbedürftige Gemeinschaften und die globalen Bemühungen zur Bewältigung der Klimakrise hat.
Ein Bericht zeigt, dass 2019 Afrika, wo etwa ein Sechstel der Weltbevölkerung lebt, für nur 4 % der Emissionen verantwortlich war.
Übersetzt von Jonathan Watts. Richest 1% account for more carbon emissions than poorest 66%, report says. The Guardian, 20.11.2023. Data based on the report of Oxfam International. Climate Equality: A planet for the 99%.
Es ist verständlich, warum eine Politik zur Reduzierung der CO2-Emissionen, die diese enormen Ungleichheiten ignoriert, wahrscheinlich keine breite Unterstützung findet und auf starken Widerstand stossen könnte.
Übersetzt von Richard Wilkinson and Kate Pickett. From inequality to sustainability. Earth4all. 2022.
Es ist völlig nachvollziehbar, dass ein grosser Teil der Weltbevölkerung das Wirtschaftswachstum, das doch Wohlstand bedeutet, wichtiger findet als ernsthafte Klimaschutzmassmahmen. Die grosse zivilisatorische Aufgabe ist die Lösung eben dieses Konflikts.
Ernst Ulrich von Weizsäcker. So reicht das nicht! Was wir in der Klimakrise jetzt wirklich brauchen. 2022
Ohne entschlossene Massnahmen zum drastischen Abbau sozio-ökonomischer Ungleichheiten gibt es keine Lösung der Umwelt- und Klimakrise.
Piketty Thomas. 2022. Eine kurze Geschichte der Gleichheit.
© PX Media | Shutterstock, [US] 2023
Menschen lernen nicht durch kluge Bücher oder durch Argumente. Sie lernen, wenn ihre Erfahrungen nicht mehr mit ihren Geschichten übereinstimmen. Wenn ihr Wissen über die Welt nicht mehr zutrifft. Dann sind sie bereit, über Alternativen nachzudenken.
Bernhard Ott. Historiker Philipp Blom: Wie der Mensch wieder hoffen kann. Tages-Anzeiger 30.08.2024
Die heutigen Glaubens- und Denkmuster stammen alle aus der Zeit einer mit Menschen fast leeren Welt und eignen sich nicht für die mit Menschen volle Welt von heute.
Heute, eigentlich seit Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts, lebt die Menschheit in einer vollen Welt. Vor hundert Jahren lebten ca. 1'700, im Jahr 1950 ca. 2'500 und heute leben ca. 8'000 Millionen Menschen auf unserer Erde.
Die Grenzen sind sichtbar, fühlbar in allem was wir tun. Und doch verfolgt die Welt weiterhin eine Wachtsumspolitik, als ob wir immer noch in der leeren Welt von damals lebten, als die Fülle an natürlichen Ressourcen auf dieser Erde endlos schien.
Gemäss Weizsäcker v. Ernst Ulrich und Anders Wijkman. 2018. Wir sind dran - Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Eine neue Aufklärung für eine volle Welt.
Solange der Mensch zahlenmässig klein und technologisch begrenzt war, konnte er die Erde realistischerweise als ein unendliches Reservoir, eine unendliche Quelle für Inputs und eine unendliche Senkgrube für Outputs betrachten. Heute können wir nicht mehr von dieser Annahme ausgehen.
Übersetzt von: Earth as a Space Ship, K.E. Boulding May 10 1965. Washington State University Committee on Space Sciences.
Unsere Institutionen und unser Regierungshandeln sind für eine Welt konzipiert, die von relativer Stabilität und Fortschritt geprägt ist. Sie sind jedoch nicht dafür ausgelegt, unsere Gesellschaft in Zeiten des raschen Wandels zu steuern, wenn weit verbreitete Prämissen wie das Streben nach Wachstum sich gegen uns wenden.
Die politischen Entscheidungsträger müssen mutige und ehrgeizige Massnahmen ergreifen, die der Dringlichkeit und dem Zusammenspiel sich überschneidender Krisen Rechnung tragen und gleichzeitig einen wirklich gerechten und integrativen Übergang gewährleisten.
Übersetzt von Katy Wiese, the Senior Policy Officer at the EEB in: Andreas Budiman. The tricky path to financing our way out of the climate crisis. Meta from European Environmental Bureau EEB. April 5, 2023.
Gesucht wird nach einer grossen Erzählung, die die gegenwärtige Düsternis überwinden soll. Dabei wird vergessen, dass so manche grosse Erzählung aus der Vergangenheit ins Desaster geführt hat.
Für den Moment gilt es zu akzeptieren, dass es noch keine gute Antwort auf die grossen Herausforderungen unserer Zeit gibt, vielleicht noch gar nicht geben kann.
Wir wissen nicht, ob und wie sich grosse Verwerfungen durch den Klimawandel vermeiden lassen, wir können für den Moment nur mit lauter kleinen Zwischenlösungen experimentieren.
Jürgen Wiebicke. 2024. Erste Hilfe für Demokratie-Retter.
Am vordringlichsten ist momentan die Notwendigkeit, den Schaden, den wir derzeit anrichten, aufzuhalten und zu beenden, nicht zu reparieren.
Noch ist nicht Zeit für den Umbau und Neubau. Die Menschheit muss erst die Katastrophe abwenden, bevor sie sich Gedanken über ihren Weg in eine bessere Welt machen kann.
Graeme Maxton. 2018. Change! Warum wir eine radikale Wende brauchen. Englische Version des Buches: pdf - Download.
Mit Blick auf den Kampf gegen den Klimawandel ist das Dilemma offensichtlich.
Einerseits erhöht Konsum in einer durch fossile Energieträger beherrschten Wirtschaft den CO2 - Ausstoss und verursacht darüber hinaus andere Umweltschäden, die etwa die Artenvielfalt beeinträchtigen. Je mehr konsumiert wird, desto stärker wird die Umwelt belastet.
Andrerseits basiert das Gesellschaftssystem sowohl wirtschaftlich als auch politisch und kulturell genau auf diesem Konsum und seiner weiteren Steigerung.
Beckert Jens. 2024. Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht.
Moderne Gesellschaften verfügen über mehr und detaillierteres Wissen über den Zustand und die Veränderung der Umwelt sowie über die Ursachen, Konsequenzen, Zusammenhänge und Wechselwirkungen dieser Veränderungen denn je.
Ihr politischer Wille und ihre politische Fähigkeit, diese Veränderungen zu stoppen und möglicherweise rückgängig zu machen, ist durch dieses Wissen aber nicht gewachsen, sondern vielleicht sogar geschrumpft.
Ingolfur Blühdorn. Die Gesellschaft der Nicht-Nachhaltigkeit. Skizze einer umweltsoziologischen Gegenwartsdiagnose. In: Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit. 2020. Seiten 83-160
© Ulrich Brunner 2023
Die Art und Weise, wie wir leben, ist ein Problem für unsere Erhaltung als Gesellschaft. […]. Anpassung unserer Lebensweise bedeutet, dass unser Handeln sich immer mehr an den Nebenfolgen ausrichten muss, die es ungewollt erzeugt. […].
Nur ist nicht klar, wie das gelingen kann. Und weil das nicht klar ist, haben wir so viele seltsame Angebote auf dem Markt, von der Leugnung des Klimawandels bis zum grünen Kapitalismus.
Pascal Blum. Zukunftsforscher Philipp Staab im Interview: «Die Art und Weise, wie wir leben, ist ein Problem für unsere Erhaltung als Gesellschaft». Tages-Anzeiger. 22.04.2023
Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen bedingt durch das rasante Bevölkerungswachstum, die Übernutzung der Ressourcen und die damit einhergehende Verschmutzung, den Verlust der Biodiversität, und insgesamt erleben wir einen schleichenden Verlust der Lebensgrundlagen.
Ernst Ulrich v. Weizsäcker und Anders Wijkman. 2018. Wir sind dran - Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Eine neue Aufklärung für eine volle Welt.
Man darf den Leuten aber nicht die Mär erzählen, dass die Klimaziele mit dem herkömmlichen Wachstumsansatz vereinbar sind.
Günther Bachmann - Ehemaliger Generalsekretär des Rates für Nachhaltige Entwicklung, Deutschland. Interview 12.08.2021.
Klima
© Photobank gallery and © Scharfsinn | Shutterstock, Inc. [US] 2019
Wie bei einem Fieberanfall ist die globale Erderwärmung ein Symptom für ein tieferes Malaise. Der Klimawandel sagt uns laut und deutlich, dass unsere auf Wachstum basierende Wirtschaft nicht nachhaltig ist.
Übersetzt von Margarita Mediavilla in: Khaled Diab. 2021. How Europe can grow without growing. European Environmental Bureau META.
Auch heute noch sind wir mutmasslich deutlich besser darin, die sozialen Folgen des Klimawandels zu verstehen als die sozialen Bedingungen dafür, ihn zu begrenzen.
Christian Berg. 2020. Ist Nachhaltigkeit utopisch? Wie wir Barrieren überwinden und zukunftsfähig handeln.
Die Rechte künftiger Generationen haben bei den Entscheidungen heutiger Politik einen ebenso schwachen Stand wie die Rechte der Menschen im Globalen Süden oder die Rechte der Natur.
Keiner der Unterzeichnerstaaten des Pariser Klimaabkommens löst bisher die eingegangenen Verpflichtungen ein. Die Externalisierung der Kosten unseres Lebensstiles ist für die politischen Akteure immer noch zu einfach, als dass sie sich der Verantwortung für Umbau und Verzicht stellen müssten.
Josef Mackert. Newsletter WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. 22.10.2024
Seit mehr als 6.000 Jahren hat die Menschheit gelernt, innerhalb einer relativ engen Bandbreite von Umwelt- und Klimaschwankungen zu leben. Die durchschnittliche Jahrestemperatur lag in diesem Zeitraum bei etwa 13ºC.
Aktuell weist rund 1 % der Landoberfläche der Erde - hauptsächlich in den heissesten Teilen der Sahara – eine durchschnittliche Jahrestemperatur von 29°C auf.
Bis 2070 könnte fast ein Fünftel der Landfläche der Erde diese Temperaturen erreichen, und davon betroffen könnten etwa 30 % der prognostizierten Weltbevölkerung sein.
Übersetzt von Chi Xu etal. 2020. Future of the human climate niche. Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) Vol. 117 | No. 21.
2022 war das wärmste Jahr in der Schweiz seit Messbeginn im Jahr 1864.
Quelle: MeteoSchweiz 2023: Klimabulletin Jahr 2022. Zürich
Die Schweiz ist bereits mit deutlichen Auswirkungen des Klimawandels konfrontiert. Aufzeichnungen von MeteoSchweiz zeigen, dass sich die Schweiz doppelt so stark erwärmt hat wie der globale Durchschnitt. Das letzte Jahrzehnt [2014 - 2023] war 2,7 °C wärmer im Vergleich zur vorindustriellen Zeit.
Ana M. Vicedo-Cabrera. Der Klimawandel ist nicht nur ein Problem für künftige Generationen. Akademie der Naturwissenschaften Schweiz. ProClim Forum für Klima und globalen Wandel. Nr. 79 2024, S. 4-5
Die weltweiten CO2 - Emissionen stiegen 2023 auf einen neuen Höchststand von 37.4 Giga-Tonnen.
© Ulrich Brunner 2024. Hintergrundbild © Scott Book | Shutterstock, Inc. [US] 2019
Gross sind die historischen Unterschiede beim CO2-Ausstoss zwischen den Weltregionen.
Quelle: Global Carbon Project 2023
© Ulrich Brunner 2023. Hintergrundbild © Barnaby
Chambers | Shutterstock, Inc. [US] 2019
Fossile Brennstoffe erzeugen heute etwa 80 % der weltweit verbrauchten Primärenergie.
Quelle: World Energy Outlook 2023 von International Energy Agency
© Ulrich Brunner 2023. Hintergrundbild ©
24Novembers | Shutterstock, Inc. [US] 2023
In krassem Gegensatz zum Rinnsal der Klimaschutzfinanzierung sind die Subventionen für fossile Brennstoffe in den letzten Jahren sprunghaft angestiegen. Im Jahr 2022 erreichten die Gesamtausgaben für Subventionen für Öl, Erdgas und Kohle einen Rekordwert von 7 Billionen Dollar [gemäss IWF]. Das sind 2 Billionen Dollar mehr als im Jahr 2020.
Übersetzt von Chelsea Harvey and Zia Weise. The state of the planet in 10 numbers. Politico.eu. November 20, 2023
Allein seit dem Jahr 2000 stieg der weltweite Konsum fossiler Energie um 45 %. In einer Welt mit steigendem Energiebedarf wird trotz des massiven Ausbaus erneuerbaren Energien nicht weniger, sondern mehr Öl, Gas und Kohle verfeuert – allen Klimawarnungen zum Trotz.
Beckert Jens. 2024. Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht.
Die öffentliche Debatte über Klimawandel und Nachhaltigkeit wird auch durch Greenwashing auf der einen und Greenwishing*) auf der andern Seite beherrscht.
Das ermöglicht es der Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft - wider besseren Wissens - wirksame Massnahmen hinauszuzögern und weiterzumachen wie bisher.
*) Greenwashing
ist der Versuch, die Öffentlichkeit und die Investoren durch falsche oder
ungeprüfte Umweltaussagen in die Irre zu führen. Greenwishing ist der
Wunsch von Unternehmen, nachhaltiger zu werden. Unrealistische Ziele können
Unternehmen aber daran hindern, ihre Emissionen tatsächlich zu reduzieren oder
Fortschritte bei der Nachhaltigkeit zu erzielen.
Übersetzt von Stephanie Safdie. What is Greenwishing? Greenly.Institute.
2024
Ein von der Europäischen Union finanziertes Forschungsprojekt (2023) hat ergeben, dass mehr als die Hälfte der für Produkte und Dienstleistungen gemachten Umweltaussagen - genauer gesagt 53 % - entweder zweideutig, irreführend oder unbegründet sind. 40 % der Aussagen entbehren jeglicher Grundlage.
Übersetzt von Alexandra Walker and Hélène Gaudin. Paint it Green: Strategies for Detecting and Combatting Greenwashing in ESG Ratings. ERM Sustainability Institute. 2024
Widerstandsfähige Ökosysteme
© Frank Wortmann + © arpitcoolboy + © Sandra-Dombrovsky + © Aleks14 | Shutterstock, Inc. [US] 2019/2023
Es ist aussichtslos, die Klimaziele erreichen zu wollen, ohne dabei gleichzeitig die Ökosysteme zu schützen. Eine Reduktion der Treibhausgasemissionen allein reicht nicht aus.
Es ist eine Illusion zu glauben, wir könnten weiterleben wie bisher, wenn wir nur das CO₂ bekämpfen.
Kein Auto, keine Strasse und kein Flugzeug sind nachhaltig. Und dennoch heisst es überall, Autofahren und Fliegen könnten auf einmal nachhaltig sein. Besonders irreführend ist die Mär der Klimaneutralität. Der Begriff bedeutet, dass entweder keine Treibhausgase verursacht oder alle ausgeglichen werden können.
Mit Leidenschaft beteiligen sich Politik und Wissenschaft an diesem Spiel der CO2 - Quantifizierung. Wenn erst einmal das CO2 bekämpft sei, so die vermeintliche Logik, dann könne der Mensch genauso weiterleben wie zuvor. Diese Selbstberuhigung funktioniert aber nur, solange man sich allein auf das CO2 konzentriert und alle weiteren Umweltschäden ausblendet.
Albert Denk. Klimawandel: Es ist eine Illusion zu glauben, wir könnten weiterleben wie bisher, wenn wir nur das CO₂ bekämpfen. Süddeutsche Zeitung 2. August 2024
Es braucht jetzt grosse Anstrengungen zum Schutz der natürlichen Kohlenstoffspeicher wie Wälder, Böden, Moore und Meere, um damit gleichzeitig den rasant voranschreitenden Biodiversitätsverlust einzudämmen.
Rund 50 Prozent des vom Menschen verursachten Treibhausgasausstosses werden von natürlichen Ökosystemen an Land und im Meer absorbiert.
Böden sind, nach den Ozeanen, die zweitgrösste natürliche Kohlenstoffsenke. Moore bedecken nur 3 % der Landfläche, binden aber doppelt so viel Kohlenstoff wie alle Wälder der Erde zusammen.
Aber seit der vorindustriellen Ära sind schätzungsweise mehr als 80 % der weltweiten Feuchtgebiete durch Landnutzungsänderungen und Entwässerung verloren gegangen und die verbleibenden Feuchtgebiete sind grösstenteils degradiert.
WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Wasser in einer aufgeheizten Welt. Zusammenfassung. 2024
© Marti Bug Catcher | Shutterstock, Inc. [US] 2021
Der Klimawandel findet vor allem auch in den Ozeanen statt.
Im Jahr 2022 waren die Weltmeere, gemessen am Wärmeinhalt der Ozeane, erneut die wärmsten in der Geschichte und übertrafen das bisherige Rekordmaximum von 2021.
Übersetzt von Cheng, L., Abraham, J., Trenberth, K.E. et al. Another Year of Record Heat for the Oceans. Adv. Atmos. Sci. (2023).
Die Ozeane bedecken mehr als 70 Prozent der Oberfläche des Planeten. Sie werden wärmer und der Meeresspiegel steigt. Bis heute nahmen sie zirka ein Viertel der globalen CO2 - Emissionen auf. Die Ozeane versauern jedoch zunehmend, da bei der Aufnahme von CO2 Kohlensäure gebildet wird.
Das Fehlen von angemessener Abwasserbehandlung und die Freisetzung von Schadstoffen aus der verarbeitenden Industrie, der Landwirtschaft, dem Tourismus, der Fischerei und der Schifffahrt setzen die Meere weiterhin unter Druck, was sich negativ auf die Ernährungssicherheit und die biologische Vielfalt der Meere auswirkt.
Die Ozeane spielen eine entscheidende Rolle für das Erreichen der Ziele für eine nachhaltige Entwicklung und für die Lebensgrundlage von Milliarden von Menschen. Wir müssen dringend die Art und Weise ändern, wie wir mit ihnen interagieren.
Übersetzt von The Second World Ocean Assessment. United Nations. 2021.
Das «Klima - Jahrzehnt»
Durch Shutterstock AI-Generator generiertes Bild 2024
Wir empfinden den Klimawandel als langsam, dabei läuft er dramatisch schnell ab. Gleichzeitig haben wir den Eindruck, dass der technologische Wandel, der nötig ist, um den Klimawandel abzuwenden, rasant voranschreitet; dabei entwickelt er sich in Wahrheit täuschend langsam - vor allem gemessen daran, wie schnell wir ihn bräuchten.
David Wallace-Wells. Die unbewohnbare Erde. Leben nach der Erderwärmung. 2019
Das Ziel der Halbierung der globalen Emissionen bis 2030 stellt das absolute Minimum dar, das wir erreichen müssen, wenn wir eine Chance von mindestens 50 Prozent haben wollen, die Menschheit vor den schlimmsten Auswirkungen zu schützen.
Übersetzt von Christiana Figueres and Tom Rivett-Carnac. 2020. The Future We Choose - Surviving the Climate Crisis.
Wir treten ins «Klima - Jahrzehnt» ein. Ein Zeitraum von zehn Jahren, in dem unser kollektives Handeln die Art der Welt bestimmt, die unsere Kinder und Enkel erben werden.
Übersetzt von: The Climate Decade. Ten Years to Deliver the Paris Agreement. The GlobeScan-SustainAbility Servey. 2019
© Alexander Mak | Shutterstock, Inc. [US] 2021
Die primäre Herausforderung besteht darin, den Geldfluss zu Öl, Kohle und Gas zu stoppen und einen klaren Weg zur Dekarbonisierung zu finden.
Die «Nachhaltigkeit» der Finanzwirtschaft lässt sich daran messen, wie weit und wie schnell sie uns von der fossilen Energiewirtschaft wegbringt, anstatt dem Finanzsektor einfach nur die Möglichkeit zu geben - neben einem Kerngeschäft, das den Klimawandel weiterhin finanziert - neue «grüne» Märkte zu entwickeln.
Übersetzt von Oscar Reyes. Change Finance - Not the Climate. 2020
Die Klimakrise interessiert sich nicht für das Versprechen, 2050 klimaneutral zu sein:
Es kommt nicht darauf an, wann die Menschheit damit aufhört, Kohle, Öl und Gas zu verbrennen und damit Treibhausgase wie CO2 in die Atmosphäre zu pusten. Es kommt darauf an, wie viel wir in der Zwischenzeit verbrennen.
Wenn wir nicht bis 2030 - also in nicht einmal 10 Jahren - massiv einsparen, wird die Erderhitzung 2 Grad sicher überschreiten.
Maria Stich. 18 Fakten über die Klimakrise, die jede:r wissen sollte. Perspective Daily. 27. März 2023
Biodiversität
© Ulrich Brunner 2024. Hintergrundbild © Pavel K, © Fostici and © oticki | Shutterstock, Inc. [US] 2020/23
Der rasch voranschreitende Rückgang der Biodiversität auf dem Lande und im Meer ist ein ernsthaftes Risiko für die Ernährungssicherheit der Menschheit.
Im Jahr 2022 hatten 2,4 Milliarden Menschen, darunter relativ viele Frauen und Menschen, die in ländlichen Gebieten leben, nicht das ganze Jahr über Zugang zu nahrhaften, sicheren und ausreichenden Lebensmitteln.
FAO, IFAD, UNICEF, WFP and WHO. 2023. The State of Food Security and Nutrition in the World 2023. Urbanization, agrifood systems transformation and healthy diets across the rural–urban continuum. Rome, FAO.
Fossile Aufzeichnungen zeigen zwar, dass das Aussterben von Arten auf natürliche Weise erfolgt, aber die heutigen Aussterberaten sind schätzungsweise 100 bis 1000 Mal höher als das, was als natürlich angesehen wird.
Übersetzt von Elizabeth Claire Alberts. Global biodiversity is in crisis, but how bad is it? It's complicated. Mongabay Series. 11. April 2022
© Ulrich Brunner 2024. Wallpapers: AI generiertes Bild + © Momo0607 + © Frank Wortmann + © Aleks14 | Shutterstock, Inc. [US]
Biodiversität bedeutet «biologische Vielfalt» oder «Vielfalt des Lebens». Die Biodiversität lässt sich auf drei Ebenen beschreiben: die Vielfalt der Gene, die Vielfalt der Arten und die Vielfalt der Lebensräume. Diese drei Ebenen der Biodiversität sind eng und dynamisch miteinander verknüpft.
Biodiversität ist nicht nur an sich erhaltenswert, sondern erbringt unverzichtbare Leistungen für Gesellschaft und Wirtschaft, sogenannte Ökosystemleistungen. Die Vielfalt dieser Leistungen ist immens: Unter anderem liefert Biodiversität Nahrung, beeinflusst das Klima, erhält die Wasser- und Luftqualität, ist Bestandteil der Bodenbildung und bietet nicht zuletzt dem Menschen Raum für Erholung.
Beate Kittl. 2024. Fragen und Antworten zur Biodiversität in der Schweiz. WSL Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft
2022 einigten sich 188 Staaten an der 15. UN-Biodiversitätskonferenz mit einer wegweisenden Abschlusserklärung unter anderem darauf, bis 2030 mindestens 30 Prozent der weltweiten Land- und Meeresflächen sowie der Binnengewässer unter Schutz zu stellen.
Der Verlust der biologischen Vielfalt ist direkt auf fünf globale Schlüsselfaktoren zurückzuführen, die alle im Zusammenhang mit menschlichen Aktivitäten stehen:
(1) Veränderungen in der Land-, Süsswasser- und Meeresnutzung
(2) Direkte Ausbeutung von Ressourcen
(3) Verschmutzung
(4) Ausbreitung von invasiven gebietsfremden Arten und Krankheiten
(5) Klimawandel
IPBES Intergovernmental Platform on Biodiversity and Ecosystem Services. 2019.
© Salcover | Shutterstock, Inc. [US] 2023
Trotz all unserer Errungenschaften verdanken wir unsere Existenz einer 15 Zentimeter dicken Schicht Mutterboden und der Tatsache, dass es regnet.
Übersetztes Zitat von Paul Harvey
Die Änderung der Landnutzung durch den massiven Ausbau der globalisierten, hochkommerzialisierten industriellen Landwirtschaft ist die grösste treibende Kraft hinter dem Verlust der Agrobiodiversität.
Laut der Schätzung der FAO [Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen] gingen im 20. Jahrhundert weltweit 75 Prozent der Kulturpflanzenvielfalt verloren. Wurden in der Vergangenheit etwa 7'000 Pflanzen zwecks Ernährung angebaut, tragen heute nur noch etwa 80 Sorten massgeblich zur globalen Nahrungsversorgung bei.
Tatsächlich stammt die Hälfte aller pflanzenbasierten Kalorien von nur drei Arten ab - Reis, Mais und Weizen. Und 93 Prozent der globalen Fleischversorgung stammen von nur 4 Tierarten: Schwein, Geflügel, Rind und Büffel.
Die Wiederherstellung der Agrobiodiversität - die Vielfalt dessen, was wir anbauen, züchten, konsumieren und in freier Wildbahn erhalten - ist von entscheidender Bedeutung, um widerstandsfähige Nahrungssysteme vor dem Hintergrund des Klimawandels sicherzustellen.
Swiss academies factsheets Vol.15 No.1. 2020. Vielfalt ist die Quelle des Lebens: Herausforderungen und Handlungsbedarf für die Förderung der Agrobiodiversität.
Die Produktion von Fleisch und Milchprodukten beansprucht bereits 70 - 80 Prozent des globalen Agrarlands*), obwohl damit nur 18 Prozent des Kalorienbedarfs und 37 Prozent des Proteinbedarfs der Menschheit gedeckt werden.
Übersetzt von Poore et al., Reducing food's environmental impacts through producers and consumers. Science 360, 987-992 (2018)
*) Anbau von Tierfutter und Weideland für Tiere
Die Biodiversität erlebt weltweit ein dramatisches, durch den Menschen verursachtes Massenaussterben [...]. Damit nimmt auch die Kapazität der Ökosysteme erheblich ab, zu Klimaregulierung und Ernährungssicherung beizutragen.
Nur wenn sich unser Umgang mit Land grundlegend ändert, können die Klimaschutzziele erreicht, der dramatische Verlust der biologischen Vielfalt abgewendet und das globale Ernährungssystem nachhaltig gestaltet werden.
WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. 2020. Landwende im Anthropozän: Von der Konkurrenz zur Integration.
(1) Die globale Ernährung muss deshalb auf mehr pflanzliche Ernährung umgestellt werden.
(2) Mehr Land muss geschützt und für die Natur reserviert werden. Dies ist der effektivste Weg, um die biologische Vielfalt zu erhalten.
(3) Und die Landwirtschaft muss naturfreundlicher und biodiversitätsfördernder ausgerichtet werden.
Übersetzt von Tim G. Benton, etal. Food system impacts on biodiversityloss. Three levers for food system transformation in support of nature. 2021.
© Kichigin | Shutterstock, Inc. [US] 2023
Die Meere beherbergen schätzungsweise eine Million Tier- und Pflanzenarten. Das Phytoplankton in den Meeren produziert so viel Sauerstoff wie alle Landpflanzen zusammen.
Greenpeace Schweiz. 2023. Wer atmet braucht das Meer.
Als Folge des Klimawandels befindet sich die Biodiversität der Meere in einer Phase des raschen Wandels, der nachweislich noch schneller vonstatten geht als die in terrestrischen Ökosystemen beobachteten Veränderungen.
Übersetzt von Hodapp D. etal. 2023. Climate change disrupts core habitats of marine species. Global Change Biology, 00, 1–14.
Der Klimawandel und der Verlust der biologischen Vielfalt stellen eine Bedrohung für die Menschheit dar. Beide Krisen hängen zusammen, verstärken sich gegenseitig und müssen darum auch gemeinsam angegangen werden.
Folgende Schritte sind wichtig, um Klimawandel und Biodiversitätsverlust zu begrenzen:
Wandel zu einer nachhaltigen Wirtschaft
Die wirtschaftliche Entwicklung von Ländern und Firmen muss auch am Umgang mit natürlichen Ressourcen gemessen werden.Keine klima- und biodiversitätsschädigenden Subventionen
Die Staaten weltweit geben viel mehr Geld für umweltschädigende Subventionen aus als für den Klima- und Biodiversitätsschutz.Radikale Reduktion der Treibhausgas-Emissionen
Nur eine rasche Dekarbonisierung kann den Klimawandel bremsen. Auch Treibhausgas-Emissionen der Landwirtschaft aufgrund von Landnutzungsänderungen sind zu minimieren.Landnutzungskonflikt überwinden
Landnutzungen für Gebäude, Verkehr, Nahrungsmittelproduktion, Klimaschutz und Biodiversitätserhaltung müssen aufeinander abgestimmt werden.Umweltvorgaben für den Finanzsektor
Der Finanzsektor hat eine grosse Wirkung auf wirtschaftliche Aktivitäten, welche die Biodiversität und das Klima schädigen.Weniger Fleisch und Milchprodukte
Natürliche Ökosysteme dürfen nicht weiter in Plantagen, Agrarflächen oder Zuchten umgewandelt werden. Land- und Waldwirtschaft wie auch Fischerei müssen die bereits genutzten Flächen nachhaltig bewirtschaften. Dies bedingt auch die Ernährungsgewohnheiten umzustellen.Mehr Mittel für den Naturschutz
Um die Naturschutzziele zu erreichen, müssen die Staaten weltweit ein Vielfaches der derzeit aufgewendeten Mittel einsetzen.
Ismail SA, Geschke J, Kohli M et al. (2021) Klimawandel und Biodiversitätsverlust gemeinsam angehen. Swiss Academies Factsheet 16 (3)
Umweltverschmutzung
© Lightspring | Shutterstock, Inc. [US] 2024
Die Verschmutzung von Luft, Wasser und Boden gehört neben dem Klimawandel und dem Biodiversitätsverlust zu den grossen Umweltkrisen unserer Zeit.
Die Überschreitung von ökologischen Belastungsgrenzen hat auch erhebliche gesundheitliche Auswirkungen. Trotz der jüngsten Hitzewellen, Dürren, Starkregenereignisse und der COVID-19-Pandemie nehmen Politik und Gesellschaft diesen Zusammenhang noch immer nicht ernst genug.
Die multiplen Umweltkrisen […] machen tiefgreifende Veränderungen erforderlich.
Es braucht ein neues Denken in Politik und Gesellschaft, das anerkennt, wie stark die Gesundheit von Mensch und Umwelt miteinander verbunden sind.
SRU Sachverständigenrat für Umweltfragen. Umwelt und Gesundheit konsequent zusammendenken. Kurzfassung 2023
Luftverschmutzung, chemische Verschmutzung und Bodenverschmutzung - die Formen der Verschmutzung durch Industrie, Bergbau, Stromerzeugung, mechanisierte Landwirtschaft und mit fossilen Brennstoffen betriebene Fahrzeuge - nehmen alle zu.
In den am stärksten betroffenen Ländern sind durch Umweltverschmutzung bedingte Krankheiten für mehr als jeden vierten Todesfall verantwortlich.
Wie der Klimawandel, der Verlust der Biodiversität, die Versauerung der Ozeane, die Wüstenbildung und die Erschöpfung der weltweiten Süsswasservorräte gefährdet auch die Umweltverschmutzung die Stabilität der Ökosysteme der Erde und bedroht das Überleben der menschlichen Gesellschaften.
Die Verschmutzung ist heute ein erhebliches Problem, das die Gesundheit von Milliarden Menschen bedroht, die Ökosysteme der Erde schädigt, die wirtschaftliche Sicherheit der Nationen untergräbt und für eine enorme Belastung durch Krankheiten, Behinderungen und vorzeitigen Tod verantwortlich ist.
Übersetzt von Philip J. Landrigan etal. The Lancet Commission on pollution and health. www.thelancet.com Vol. 391 February 3, 2018
Die Wasserqualität wird zukünftig weiter abnehmen, sofern die Einleitungen unzureichend geklärter Abwässer - aktuell betrifft dies etwa 80 % der weltweiten Abwässer - und damit von Krankheitserregern, schwer abbaubaren Chemikalien, Nährstoffen und festen Abfällen fortgesetzt werden.
WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Wasser in einer aufgeheizten Welt. Zusammenfassung. 2024
Gemäss einer neuen Studie wird geschätzt, dass weltweit über vier Milliarden Menschen keine angemessene Trinkwasserversorgung haben. Das ist mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung.
Übersetzt von Esther E. Greenwood etal. Mapping safe drinking water use in low- and middle-income countries. Science 15. Aug 2024. Vol 385, Issue 6710 pp. 784 - 790
© Rroselavy | Shutterstock, Inc. [US] 2024
Nicht zuletzt hat unsere ressourcenintensive Lebensweise mit ihrem immensen Ausstoss von Treibhausgasen, der Vernichtung natürlicher Lebensräume und der zunehmenden Verschmutzung an Land und im Meer zu einer planetarischen Krise geführt. Sie bedroht die Lebensgrundlagen auf der Erde und damit die Gesundheit aller Menschen.
Weil die zunehmenden Umwelt- und Gesundheitsprobleme vielfach gemeinsame Wurzeln haben, können Synergien bei den Lösungsansätzen gefunden werden. Wir stehen an einem Scheidepunkt.
Planetare Gesundheit: Worüber wir jetzt reden müssen. WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. 2021
Um die Gesundheit von Mensch und Erde zu erhalten, müssen Klimawandel, Biodiversitätsverlust und die weltweite Verschmutzung aufgehalten werden.
Wichtige, bisher vernachlässigte Ansatzpunkte sind ein Stopp der Exploration fossiler Energieträger sowie die Stärkung der Biosphäre an Land, im Süsswasser und im Meer – auch zur Prävention zoonotischer Pandemien.
Gesundheits- und Umweltrisiken durch Emissionen und Deponien von persistenten Abfällen und Chemikalien in Luft, Boden und Wasser sollten durch eine kontrollierte Kreislaufwirtschaft und Emissionsregulierungen verhindert werden.
Resiliente, leistungsfähige Ökosysteme und ein stabiles Klima sind Voraussetzungen für ein gesundes Leben auf einer «gesunden» Erde.
Factsheet Nr. 8, 2023 - Gesund leben. Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU).
Umweltpolitik
© BlueRingMedia | Shutterstock, Inc. [US] 2019
Der grosse Trugschluss der Umweltdebatte in den letzten 30 Jahren war die Hoffnung, dass sich eine ökologische Wende im Wesentlichen mit einem technologischen Innovationsprogramm in der bestehenden Wirtschaftsordnung umsetzen lässt.
Die anhaltend beeindruckende Wohlstandsentwicklung hat aber weder die Klimabelastung noch die Ressourcenverbräuche oder den Verlust der Biodiversität bremsen können - im Gegenteil, all diese Belastungen haben sich massiv verschärft.
Uwe Schneidewind. Die Grosse Transformation - Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels. 2018
Dass sich die Wende zur Nachhaltigkeit allein durch Innovation und Technologie realisieren lässt, ist eine Hypothese, für die es keine ausreichende Evidenz gibt - im Gegenteil spricht vieles dagegen.
Suffizienz als «Strategie des Genug» - Sachverständigenrat für Umweltfragen. 2024.
Technologische Innovation ist absolut wichtig [...]. Sie ist in der Tat lebenswichtig. Wir werden alle Innovationen und Effizienzsteigerungen brauchen, die wir bekommen können, um die Ressourcen- und Kohlenstoffintensität unserer Wirtschaft drastisch zu reduzieren.
Aber das Problem, vor dem wir stehen, hat nichts mit der Technologie zu tun. Das Problem hat mit dem Wachstum zu tun. Wir sehen immer und immer wieder, dass der Wachstumsimperativ alle Gewinne, die unsere beste Technologie liefert, zunichte macht.
Übersetzt von Jason Hickel. Less is more. How Degrowth will Save the World. 2020
Der Zerfall vieler Annahmen und Sicherheiten, die in den reichen, hochentwickelten Gesellschaften des globalen Nordens noch bis in die jüngste Vergangenheit hinein den öffentlichen Umweltdiskurs bestimmt haben, führt zu erheblicher Irritation und einem umweltpolitischen Orientierungsverlust.
Zu diesen Sicherheiten gehörte unter anderem die Überzeugung, dass zunehmendes Wissen über Veränderungen in der biophysischen Welt und ihre gesellschaftlichen Ursachen und Auswirkungen letztlich zu grundlegenden Verhaltensänderungen bei den Bürgern und Bürgerinnen und einem gesamtgesellschaftlichen Werte-, Kultur- und Strukturwandel hin zur Nachhaltigkeit führen werde.
Ebenso hatte sich seit den ausgehenden 1980er Jahren die sichere Annahme etabliert, dass die ökologische Krise durch innovative Effizienztechnologien, grünes Wirtschaftswachstum und eine Umorientierung des Konsums auf ökologisch und sozial zertifizierte Produkte und Dienstleistungen auch innerhalb der kapitalistisch-marktwirtschaftlichen Ordnung bewältigt werden könne […].
Ingolfur Blühdorn. Die Gesellschaft der Nicht-Nachhaltigkeit. Skizze einer umweltsoziologischen Gegenwartsdiagnose. In: Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit. 2020. Seiten 83-160
© Ulrich Brunner 2024. Hintergrundbilder © Lightspring + © Piyaset | Shutterstock, Inc. [US] 2019/23
Heute verbraucht Europa weiterhin mehr Ressourcen und trägt mehr zur Umweltzerstörung bei als viele andere Regionen weltweit. Wir müssen nicht einfach nur mehr tun, sondern die Dinge auch anders angehen.
Es werden jetzt ganz andere Antworten auf die Umwelt- und Klimafragen gebraucht als die der vergangenen 40 Jahre.
Die Umwelt in Europa - Zustand und Ausblick 2020. Europäische Umweltagentur. 2019
[Denn:] Probleme können niemals mit derselben Denkweise gelöst werden, durch die sie entstanden sind.
Albert Einstein. 1946 - angesichts der neuen Bedrohung durch atomare Waffen.
Je länger man versucht, die Lösungsstrategien, die zu den Problemen von gestern passen, auf die Probleme von heute anzuwenden, desto grösser werden sie, die Probleme.
Harald Welzer. 2023. Zeiten Ende – Politik ohne Leitbild, Gesellschaft in Gefahr.
© ChristianChan | Shutterstock, Inc. [US] 2021
Als gesichert gilt, dass die gegenwärtigen Lebens- und Wirtschaftsweisen einen umfassenden und tiefen Eingriff in verschiedene Ökosysteme darstellen. Zukünftigen Generationen [...] drohen daher drastische und irreversible Nachteile.
Der Umwelt- und Nachhaltigkeitspolitik ist es bisher bei weitem nicht gelungen, eine hinreichend starke Reduktion der ökologischen Belastungen zu erreichen.
Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW): gesellschaftliches Wohlergehen innerhalb planetaren Grenzen, Texte 89/2018
Der ökologische Modernismus behandelt die Klimakrise als technisches Problem und richtet daran seine Lösungen aus. Elektromotoren statt Verbrenner, Windpark statt Kohlekraftwerk – und schon ist das Problem gelöst, so das Versprechen.
David Zauner. Klimagerechtigkeit heisst, die Machtfrage zu stellen. Klimareporter 30.03.2024
© JrCasas | Shutterstock, Inc. [US] 2019
Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte lehrt, dass die politischen Eingriffe in das Marktgeschehen zu keinem Zeitpunkt hinreichend waren oder überhaupt darauf zielten, den Klimawandel zu stoppen.
Deshalb sprechen wir bei der Klimakrise auch von dem grössten Staatsversagen aller Zeiten, das sich trotz aller Vorgaben seitens des Umweltrechts in aller Ruhe vollzog.
Beckert Jens. 2024. Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht.
Wir brauchen einen Politikwandel, der Nachhaltigkeit nicht als mögliches Nebenprodukt einer ökonomischen Wachstumsagenda behandelt, sondern direkt auf nachhaltiges Konsumieren, Produzieren und Investieren zielt.
Maja Göpel. Unsere Welt neu denken - Eine Einladung. 2020
Digitalisierung
© Geza Farkas | Shutterstock, Inc. [US] 2018
Digitalisierung und Nachhaltigkeit werden oft als zwei Megatrends bezeichnet, die Wirtschaft und Gesellschaft prägen. Die beiden Phänomene sind jedoch sehr unterschiedlich:
Die Digitalisierung verändert die Realität massiv und beeinflusst fast jeden Aspekt unseres Lebens, während Nachhaltigkeit ein normatives Ziel ist, das in den meisten Bereichen noch nicht Realität geworden ist.
Übersetzt von Maike Gossen and Otmar Lell. Sustainable consumption in the digital age. A plea for a systemic policy approach to turn risks into opportunities. GAIA 32/S1 (2023): 71 – 76
Der Schulterschluss von digitalem Fortschritt und kapitalistischer Ideologie in einer durchmonetarisierten Gesellschaft führt offensichtlich zu einer Konzentration von Macht bei einigen wenigen, meist privaten, Akteuren.
Zur Lösung der richtig grossen Probleme, wie Verteilungsgerechtigkeit, Hunger, Bildungsungerechtigkeit, Kriege, ethnische und religiöse Auseinandersetzungen, Korruption, hat die Digitalisierung aber so viel wie noch nichts beigetragen. Weil normalerweise nur Ideen auf den Markt kommen, die auch zu Geld gemacht werden können.
Jonas Lüscher, Schriftsteller - Interview Tages-Anzeiger, 06.01.2018
Wir werden mit «digital by default» enden, wenn wir uns nicht für «digital by design» entscheiden.
Wir sollten Technologie nicht durch die Brille von Big Tech betrachten, wo die Rolle von Algorithmen darin besteht, Menschen zu ersetzen [...].
Wir sollten damit beginnen, die Ergebnisse zu bewerten, die wir mit Hilfe der Technologie erreichen wollen, wie z. B. die Verringerung des Kohlenstoffausstosses und die Verbesserung der Rentabilität der Arbeit.
Übersetzt von Mark Carney. Value(s) - Building a Better World for All. 2021.
© Moor Studio | Shutterstock, Inc. [US] 2023
Im Grossen wirken Digitalisierungsprozesse heute eher als «Brandbeschleuniger» bestehender, nicht nachhaltiger Trends, also der Übernutzung natürlicher Ressourcen und wachsender sozialer Ungleichheit in vielen Ländern.
Auf der einen Seite muss nüchtern festgestellt werden, dass die Digitalisierung von Wirtschaft und Alltag sich bislang nur marginal an Nachhaltigkeitsaspekten orientiert.
Auf der anderen Seite offeriert die Digitalisierung ein ungeheures Spektrum an Möglichkeiten zur Unterstützung der Transformation zur Nachhaltigkeit.
WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung - Globale Umweltveränderungen. 2019. Unsere gemeinsame digitale Zukunft.
Die drei Hauptziele der ökologischen Nachhaltigkeit sind CO2 - Reduktion, Ressourcenreduktion sowie Renaturierung.
Zumindest in der Theorie kann das Wachstum digitaler Anwendungen mit den Zielen der ökologischen Nachhaltigkeit vereinbar sein. Doch die heutige Realität ist von diesem Ideal weit entfernt.
Der Energie- und Materialverbrauch steigt mit zunehmender Digitalisierung sogar an. An dieser Situation wird sich nichts ändern, wenn die Mehrheit der betroffenen Unternehmen die drei ökologischen Ziele nicht als verbindliche Grundsätze übernimmt.
Übersetzt von Ortwin Renn, et al. The opportunities and risks of digitalisation for sustainable development: a systemic perspective. GAIA 30/1(2021): 23-28
© Gorodenkoff | Shutterstock, Inc. [US] 2023
Der Energieverbrauch der digitalen Infrastruktur nimmt zu, weil die Intensität der Nutzung schneller wächst als die Effizienz. Zwar sind Mikrochips in den letzten fünf Jahrzehnten um einen Faktor von mindestens einer Milliarde energieeffizienter geworden.
Das heisst, für eine Kilowattstunde Strom kann man heute eine Milliarde mal mehr rechnen als vor fünfzig Jahren. Es gibt kein anderes technisches Gebiet, in dem die Energieeffizienz derart rasant zunimmt. Aber die Nutzung wächst noch schneller, darum nimmt der Verbrauch insgesamt eben doch kräftig zu.
Mathias Plüss. Interview mit Prof. Lorenz Hilty. Fussabdruck der Digitalisierung. Newsletter Planet Plüss. Tages-Anzeiger. 02.06.2024
Die Beziehung zwischen Digitalisierung und ökologischer Nachhaltigkeit ist zwiespältig.
Die Anwendung digitaler Technologien erleichtert zwar die Verbesserung der Energie- und Ressourceneffizienz und kann den Verbrauchern eine Orientierungshilfe für nachhaltige Entscheidungen bieten, sie steigert aber vor allem die Arbeitsproduktivität und führt zu Innovationen im Verbrauch, was zu einer Ausweitung der Produktion und damit zu einer zusätzlichen Nachfrage nach Energie und Ressourcen führt.
Im Grossen und Ganzen hat die Digitalisierung, die wir in den letzten Jahrzehnten erlebt haben, keines der drängenden Umweltprobleme unserer Zeit gelöst: Trotz innovativer kleinerer Initiativen ist festzustellen, dass in keinem der Schlüsselsektoren - Verkehr, Energie, Landwirtschaft, Wohnen, Konsumgüter - die Einführung digitaler Werkzeuge bisher einen Wandel hin zu nachhaltigen Alternativen bewirkt hat.
Übersetzt von T. Santarius etal. Digitalization and Sustainability: A Call for a Digital Green Deal. Environmental Science and Policy 147 (2023) 11–14
© Alexander Limbach | Shutterstock, [US] 2024
Die enormen Gestaltungsmöglichkeiten der Digitalisierung als prägende Kraft des 21. Jahrhunderts müssen in den Dienst einer nachhaltigen Entwicklung als drängendste Gestaltungsaufgabe des 21. Jahrhunderts gestellt werden.
Wuppertal Institut (2021): Digitalisierung gestalten - Transformation zur Nachhaltigkeit ermöglichen: Studie im Rahmen des Projekts «Shaping the Digital Transformation».
Wachstum
© M-SUR | Shutterstock, [US] 2018
Wir müssen das Wachstumsdilemma anpacken, das da lautet:
Das Wachstum unserer heutigen Wirtschaft aufgeben, bedeutet das Risiko eines wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zusammenbruchs.
Das herkömmliche Wachstum beibehalten, bedeutet das Risiko der Zerstörung globaler Ökosysteme, die unsere Lebensgrundlage sind.
Tim Jackson. Wohlstand ohne Wachstum - Das Update. Grundlage für eine zukunftsfähige Wirtschaft. 2016.
Es ist ein Dilemma: Ohne Wachstum geht es nicht, komplett grünes Wachstum gibt es nicht, und normales Wachstum führt unausweichlich in die ökologische Katastrophe.
Ulrike Herrmann. Goodbye, Kapitalismus: So kann der Übergang zu einer neuen Wirtschaftsordnung gelingen. Perspective Daily 11. Januar 2021
© Ulrich Brunner 2024. Hintergrundbild © smatch | Shutterstock, Inc. [US] 2018
Kontinuierliches Wachstum ist kein Märchen, es ist eine Notwendigkeit. Aber nicht einfach irgendein Wachstum.
Die Macht des Marktes muss auf das ausgerichtet werden, was die Gesellschaft will. Das erfordert Massstäbe für Einkommen und Wohlstand, die unsere Werte widerspiegeln. [...] Wir brauchen eine Welt, in der wir uns nicht mehr nur von Messgrössen wie dem BIP*) leiten lassen [...].
Übersetzt von Mark Carney. Value(s) - Building a Better World for All. 2021.
*) BIP (engl. GDP) steht für Bruttoinlandsprodukt und stellt den gesamten Geldwert aller Endprodukte und Dienstleistungen dar, die in einem Land während eines bestimmten Zeitraums produziert und verkauft werden.
© Ueli Hafner 2022
Wir brauchen somit dringend eine klare Vision, eine mutige Politik und eine wirklich robuste Strategie, um den Ausweg aus dem Wachstumsdilemma zu finden.
Vom normalen Politikbetrieb wird das Wachstumsdilemma allerdings noch kaum wahrgenommen und in der öffentlichen Debatte allenfalls am Rande erwähnt.
Tim Jackson. Wohlstand ohne Wachstum - Das Update. Grundlage für eine zukunftsfähige Wirtschaft. 2016.
Es ist klar, dass es darauf keine einfachen Antworten gibt - keine Antwort, die vorgeschlagen werden könnte, ohne gleichzeitig eine umfassende Änderung der Art und Weise, wie wir denken, arbeiten und unser Leben ausrichten, vorzuschlagen.
Übersetzt von David Fleming. Surviving the Future: Culture, Carnival and Capital in the Aftermath of the Market Economy. 2016.
Drei Prozent Wachstum bedeutet eine Verdoppelung der Weltwirtschaft alle dreiundzwanzig Jahre [...]. Das wäre vielleicht in Ordnung, wenn das BIP einfach aus der Luft gegriffen wäre. Aber so ist es nicht. Es ist an den Energie- und Ressourcenverbrauch gekoppelt [...].
Übersetzt von Jason Hickel. 2020. Less is More. How degrowth will save the world.
© Ulrich Brunner 2024. Hintergrundbild © Anderl | Shutterstock, Inc. [US] 2018
Die konventionelle Reaktion auf das Wachstumsdilemma ist der Ruf nach Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch und damit von den schädlichen Umweltauswirkungen.
Erreicht werden soll die Entkopplung mit effizienteren Produktionsprozessen. Effizienter zu produzieren, bedeutet aber eine Steigerung der Produktivität und diese ermöglicht weiteres Wachstum mit zusätzlichem Ressourcenverbrauch.
In der kapitalistischen Wirtschaft werden alle Effizienzgewinne prinzipiell in neue wirtschaftliche Aktivitäten übertragen. Diese Reinvestition von Effizienzgewinnen ist genau das wirtschaftliche Prinzip, auf dessen Grundlage Wachstum und Gewinne erzielt werden.
Beckert Jens. 2024. Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen den Klimawandel zu scheitern droht.
Wir dürfen uns also nicht allein auf Effizienzmassnahmen und technologische Innovationen verlassen. Denn das globale Wirtschaftswachstum konnte bisher in absoluten Zahlen nicht vom Ressourcenverbrauch und den Treibhausgasemissionen entkoppelt werden.
Bisher hat die Umwelt- und Klimapolitik global bestenfalls eine relative Entkopplung*) zwischen BIP und Ressourcennutzung bzw. Treibhausgasemissionen erreicht.
Übersetzt von Helmut Haberl et al 2020. A systematic review of the evidence on decoupling of GDP, resource use and GHG emissions, part II: synthesizing the insights. Environ. Res. Lett. 15 065003
*) Relative Entkopplung von Ressourcenverbrauch und Wirtschaftswachstum bedeutet, dass der Ressourcenverbrauch bei einer nachhaltigeren, aber weiterhin wachsenden Wirtschaft zwar weniger stark zunimmt, aber immer noch ansteigt. Bei einer absoluten Entkopplung würde der Ressourcenverbrauch trotz wachsender Wirtschaft nicht weiter ansteigen.
Wenn man den CO2 – Ausstoss für sich allein betrachtet, den Ressourcenverbrauch und die schädlichen Umweltauswirkungen aber ausser Acht lässt, dann kann man, nicht global, aber regional eine absolute Entkopplung beobachten.
Tatsächlich haben in den letzten zehn Jahren einige reiche Länder ihre CO2 - Emissionen reduziert und gleichzeitig ihr Bruttoinlandsprodukt erhöht, und damit eine absolute Entkopplung erreicht. Aber, bei den erreichten Reduktionsraten würden diese Länder im Durchschnitt mehr als 220 Jahre brauchen, um ihre Emissionen um 95 % zu reduzieren.
Übersetzt von Jefim Vogel and Jason Hickel. Is green growth happening? An empirical analysis of achieved versus Paris-compliant CO2 – GDP decoupling in high-income countries. www.thelancet.com/planetary-health Vol 7. September 2023
Die Analyse der Daten der vergangenen 30 Jahre von über 1.500 Regionen in aller Welt zeigt, dass es 30 Prozent gelungen ist, ihre CO2 - Emissionen zu senken und gleichzeitig ihr Wirtschaftswachstum zu fördern. Doch das derzeitige Tempo der Entkopplung reicht nicht aus, um Netto-Null-Emissionen bis 2050 zu erreichen.
Grünes Wachstum: 30 Prozent der Regionen weltweit entkoppeln Wirtschaftswachstum von CO2 -Emissionen. Potsdam-Institut für Klimaforschung. Oktober 2024
© Ulrich Brunner 2024
Die Lücke zwischen effizientem Produzieren und effizientem Einsammeln und Wiederverwerten von Materialien ist gigantisch.
Die globale Nutzung von Materialien beschleunigt sich. Sie hat sich seit 1970 mehr als verdreifacht.
Trotz Bestrebungen hin zu einer Kreislaufwirtschaft, ist der Anteil wiederverwerteter Materialien am Gesamtverbrauch aller Materialien in den letzten Jahren gesunken.
Der Anteil der von der Weltwirtschaft verbrauchten Sekundärmaterialien*) ist von 9,1 % im Jahr 2018 auf 7,2 % im Jahr 2023 gesunken - ein Rückgang um 21 % innerhalb von fünf Jahren.
Übersetzt von The Circularity Gap Report 2024 - Executiv Summary. Circal Economy Foundation.*) Sekundärmaterialien stammen aus eingesammelten, entsorgten Materialien und unterscheiden sich von aus der Natur gewonnenen Primärmaterialien.
Die Gewinnung und Verarbeitung von Rohstoffen ist für 90 % des weltweiten Verlusts an biologischer Vielfalt, für 50 % der weltweiten Treibhausgasemissionen und für über 30 % der durch Luftverschmutzung verursachten Gesundheitsschäden verantwortlich.
Übersetzt von Piotr Barczak. How a circular economy can cure globale resource overconsumption. Meta from European Environmental Bureau. July 16, 2024.
Es gibt nicht nur keine empirischen Belege für eine Entkopplung des Wirtschaftswachstums von den Umweltbelastungen, die auch nur annähernd das Ausmass erreicht, das notwendig wäre, um die Umweltzerstörung zu verhindern, sondern auch - und das ist vielleicht noch wichtiger - es scheint auch unwahrscheinlich, dass eine solche Entkopplung in der Zukunft stattfindet.
Übersetzt von Parrique T. etal. 2019. European Environmental Bureau. Decoupling debunked: Evidence and arguments against green growth as a sole strategy for sustainability.
© Ulrich Brunner 2024. Hintergrundbild © Anderl | Shutterstock, Inc. [US] 2018
Es müssen deshalb zwei unterschiedliche Entkopplungen verfolgt werden:
(1) Entkopplung der Produktion von Gütern und Dienstleistungen von nicht-nachhaltigem Naturverbrauch und
(2) Entkopplung der Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse vom Imperativ zu immer mehr Konsum.
Übersetzt von Maja Göpel. 2016. The Great Mindshift.
Eine Patentlösung für die Entkopplung von Wohlstand und Naturzerstörung wird es nicht geben, aber wenn wir es nicht schaffen, dann müssen wir uns an die neuen Bedingungen anpassen. Und die werden hart sein.
Interview mit Harald Lesch. Digitale Welten riechen nicht. GeoPlus 29.09. 2021
Eines ist klar. Wenn wir innerhalb der Grenzen unseres endlichen Planeten gut leben wollen, brauchen wir eine bessere Vorstellung von sozialem Fortschritt als die, die im Wachstumsmythos angelegt ist.
Übersetzt von Tim Jackson. Post Growth. Life after Capitalism. 2021
Wir
stehen vor der schier unlösbaren Aufgabe, die grundlegenden Bedürfnisse
von bald 9 bis 10 Milliarden Menschen zu befriedigen und gleichzeitig
die ökologischen Grenzen der Erde einzuhalten.
© Waldemarus | Shutterstock, Inc. [US] 2018
In diesem Zusammanhang ist zu bedenken - zum Beispiel:
Rund ein Fünftel der Weltbevölkerung, hauptsächlich Menschen in den reichen Ländern aber auch wohlhabende Menschen weltweit, beanspruchen rund vier Fünftel des gesamten globalen Ressourcenverbrauchs.
Mehrere Quellen: Grössenordnung, exakte Daten dazu gibt es nicht.
Vier Fünftel der Weltbevölkerung sind noch nie in ein Flugzeug gestiegen und 1 Prozent der Weltbevölkerung ist für die Hälfte aller Flugemissionen verantwortlich.
Übersetzt von Stefan Gössling, Andreas Humpe. 2020. The global scale, distribution and growth of aviation: Implication for climate change.
Die reichsten 10 Prozent produzieren global fast die Hälfte der klimaschädlichen Emissionen. Ein Drittel dieser 10 Prozent lebt in Schwellenländern.
Interview mit Irmi Seidl. Radio SRF 2 Kultur, Kultur-Aktualität. 9.9.2022
Wirtschaft
© underworld | Shutterstock, Inc. [US] 2019
Die Anreize im heutigen Wirtschaftssystem fördern immer noch einseitig die Ausbeutung von Natur und Mensch.
Realistisch muss angenommen werden, dass nur sehr tiefgreifende Änderungen in der Ökonomie, ja sogar in der menschlichen Zivilisation dazu führen können, eine einigermassen erträgliche Zukunft für unseren Planeten durchzusetzen.
Ernst Ulrich von Weizsäcker. 2022. So reicht das nicht! Was wir in der Klimakrise jetzt wirklich brauchen.
Es ist ein epochaler Widerspruch, dass fast gleichzeitig der Gedanke der Nachhaltigkeit und das hektische Quartalsdenken in den Konzernen aufkamen: Die Überzeugung, dass Politik und Wirtschaft sehr langfristig angelegt sein sollten und der Zwang, von Vierteljahr zu Vierteljahr einen höheren Gewinn auszuweisen.
Roger de Weck. 2009. Nach der Krise – Gibt es einen andern Kapitalismus?
© Prazis Images| Shutterstock, Inc. [US] 2023
Die globalen Entscheidungsträger erkennen wirtschaftliches Wachstum zu Recht als Antwort auf fast alle Probleme, aber sie streben mit aller Macht in die falsche Richtung.
Das Ergebnis ist eine globale Wirtschaftspolitik, die ursprünglich dazu gedacht war, Armut zu lindern, sich aber viele Jahrzehnte später in eine Armutsfalle verwandelt hat - eine Wirtschaftspolitik, die ganze Nationen ökonomisch versklavt, Demokratien destabilisiert und sich an der Finanzierung von Umweltkatastrophen beteiligt.
Wir konnten mitverfolgen, wie sich der Sinn und Zweck unserer Wirtschaft von der Wertschätzung unserer Zukunft zu deren völliger Vernachlässigung gewandelt hat.
Dixson-Declève S. et.al. 2022. Earth for All. Ein Survivalguide für unseren Planeten. Der neue Bericht des Club of Rome, 50 Jahre nach «die Grenzen des Wachstums».
Die Natur aus dem ökonomischen Denken auszuklammern bedeutet, dass wir uns als ausserhalb der Natur stehend betrachten.
Wir haben zwar das Fehlen der Natur in den offiziellen Konzepten ökonomischer Möglichkeiten immer öfter in Frage gestellt, aber die Sorge wurde für die Sonntage aufgehoben. An den Wochentagen blieb unser Denken wie gehabt.
Der Fehler liegt aber nicht in der Ökonomie, sondern darin, wie wir beschlossen haben, sie zu praktizieren.
Übersetzt von Partha Dasgupta. The Economics of Biodiversity: The Dasgupta Review. Abridged Version. 2021
In einer planetarischen Notlage ist es absolut gefährlich, wenn wissenschaftliche Erkenntnisse gegenüber der Macht des Privatkapitals bei der Gestaltung von Politiken, die die Zukunft des Lebens auf der Erde bestimmen, eine untergeordnete Rolle spielen.
Translated from: Charlie J. Gardner. Post on LinkedIn. 07.10.2024
Die derzeitige ökonomische Organisation, die auf unkontrolliertem Kapitalverkehr ohne soziale und ökologische Zielmarken beruht, kommt oft genug einer Art Neokolonialismus zugunsten der Reichsten gleich. Politisch wie ökologisch ist die Entwicklung unhaltbar.
Piketty Thomas. 2022. Eine kurze Geschichte der Gleichheit.
© mipan | Shutterstock, Inc. [US] 2020
Das Malaise in einigen Bereichen des Finanzwesens kann nur durch eine Kombination aus regulatorischen Massnahmen und einem echten kulturellen Wandel beseitigt werden.
Die Marktstandards wurden schlecht verstanden, oft ignoriert und waren stets nicht durchsetzbar. Zu viele Teilnehmer fühlten sich weder für das System verantwortlich noch erkannten sie die vollen Auswirkungen ihres Handelns.
Schlechtes Verhalten blieb unkontrolliert, breitete sich aus und wurde schliesslich zur Norm.
Übersetzt von Mark Carney. Value(s) - Building a Better World for All. 2021.
Führende Ökonomen schlagen eine Wirtschaftswende vor:
Politiker sollen den Neoliberalismus verabschieden und sich mehr um die Menschen kümmern. Jahrzehntelang schlecht gemanagte Globalisierung, übermässiges Vertrauen in die Selbstregulierung der Märkte und Austerität haben die Fähigkeit der Regierungen ausgehöhlt, wirksam auf die aktuellen Krisen zu reagieren.
Um grössere Schäden für die Menschheit und den Planeten abzuwenden, müssen wir dringend die Ursachen des Unmuts der Menschen angehen.
Forum New Economy. Appell international führender Ökonomen für eine Agenda gegen Populismus. Pressemitteilung vom 29. Mai 2024
Liberale Demokratien sind heutzutage mit einer Welle des Misstrauens und der Zweifel an ihrer Fähigkeit konfrontiert, der Mehrheit der Bürger und Bürgerinnen zu dienen und die zahlreichen Krisen zu lösen, die unsere Zukunft bedrohen.
Wir befinden uns in einer kritischen Phase. Die Märkte allein werden weder den Klimawandel aufhalten noch zu einer weniger ungleichen Verteilung des Wohlstands führen. Die Idee eines Trickle-Down hat versagt.
Was wir brauchen, ist ein neuer politischer Konsens, der sich mit den tieferen Ursachen des Misstrauens der Menschen auseinandersetzt, statt sich nur auf die Symptome zu fokussieren oder in die Falle jener Populisten zu tappen, die vorgeben, einfache Antworten zu haben.
The Berlin Summit Declaration – Winning back the people. Forum New Economy. Mai 2024
© Janossy Gergely and © Saigh Anees | Shutterstock, Inc. [US] 2023
Wirtschaftswachstum, das auf Ausbeutung beruht - seit 400 Jahren das Geschäftsmodell des reichen Westens - ist an seine Grenzen gelangt. Die Ausbeutbarkeit von Menschen und den Ökosystemen [...] führt zu millionenfacher Migration und katastrophalen Umweltbelastungen.
Philipp Blom. Was auf dem Spiel steht. 2017
Es sind die Bedingungen einer künftigen Wirtschaft, die neu entwickelt werden müssen: Denn all die grossartigen Errungenschaften, auf die man zurückblicken kann, sind nur um den Preis zu haben gewesen, dass man weder auf die natürlichen Gegebenheiten noch auf die Lebenssituationen von Menschen in andern Teilen der Welt Rücksicht genommen hat.
Harald Welzer. Alles könnte anders sein - Eine Gesellschaftsutopie für freie Menschen. 2019
Die ökologischen Probleme werden zunehmen und damit auch die gesellschaftlichen und ökonomischen Verwerfungen [...].
Wir müssen uns fragen, wie ein Wirtschaftssystem aussehen kann, das dem Menschen dient und die ökologischen Grundlagen erhält. Das heutige tut es nicht.
Interview mit der Ökonomin Irmi Seidl. Der ökologische Umbau wird die Arbeitswelt verändern. Tages-Anzeiger. 15.02.2020
Nachhaltigkeit
© Gustavo Frazao | Shutterstock, Inc. [US] 2019
Die Frage ist nicht wie? Die Frage ist, wann entscheiden wir uns nachhaltiger zu wirtschaften?
Die Welt ist im Wandel - ökologisch, sozial und wirtschaftlich. Die einzigen Unwägbarkeiten sind das Tempo und die Richtung dieses Wandels und die Frage, ob die Gesellschaften Wege zu langfristiger Nachhaltigkeit und Wohlstand finden oder sich stattdessen mit zunehmender Unbeständigkeit und beschleunigtem Niedergang abfinden werden.
Übergänge verlaufen nur selten reibungslos, und die Nachhaltigkeitstransformation ist vielleicht die schwierigste, die die globalen Gesellschaften je erlebt haben. Scheinbar widersprüchliche Wahrheiten und tiefe Ungewissheiten müssen in kurz-, mittel- und langfristigen Plänen berücksichtigt werden. Wie bei früheren Umwälzungen - die laufende digitale Transformation ist ein gutes Beispiel dafür - stehen erhebliche Werte auf dem Spiel, und es können enorme Werte geschaffen werden.
Übersetzt von Jacco Kroon etal. 2024. Report: Catching the wave - Seizing the opportunities of sustainability transformation. Executive Summary. ERM Sustainability Institute and World Business Council for Sustainable Development.
Wir sind nicht nachhaltig unterwegs. Innerhalb der Lebenszeit einer einzigen Generation nahm die Weltbevölkerung, der globale CO2 - Ausstoss, der Ressourcen- und Energieverbrauch in beispiellosem Tempo zu.
© Ulrich Brunner 2024.
Quelle: Christian Berg. 2020. Online-Vorstellung des neuen Berichts an den Club of Rome – Ist Nachhaltigkeit utopisch?
Eine nachhaltige Entwicklung ist kaum vorstellbar ohne
- die Abkehr von der überwiegend linearen Wirtschaft hin zu einer konsequenten Kreislaufwirtschaft,
- dem gleichzeitigen Zurückfahren des Überkonsums,
- der raschen Reduktion der CO2 – Emissionen, sowie
- einer grundlegenden Änderung der Art und Weise, wie wir Land bewirtschaften.
Wir müssen von der tief verinnerlichten Grundhaltung Wettbewerb und Eigennutz hin zu einer Grundhaltung Kooperation und Gemeinwohl finden, wollen wir z.B. den globalen Klimawandel wirklich eindämmen.
17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung
UN Agenda 2030
Die Nachhaltigkeitsziele sollen der Weltpolitik die Richtung für eine nachhaltige Entwicklung geben. Das heisst, dass alle Staaten aufgefordert sind, die drängenden Herausforderungen der Welt gemeinsam zu lösen.
Die Agenda 2030 ist keine Gebrauchsanweisung, wie die 17 Nachhaltigkeitsziele erreicht werden können. Vielmehr ist sie ein Kompass.
Die Menschen sollen bis 2030 - überall auf der Welt - über einschlägige Informationen und das Bewusstsein für nachhaltige Entwicklung verfügen.
Um die Ziele für eine nachhaltige Entwicklung der UN Agenda 2030 zu erreichen, müssen wir unsere Art zu wirtschaften und zu konsumieren grundlegend verändern.
Die Digitalisierung kommt in der Agenda 2030 kaum vor, doch sie wird deren Umsetzung stark beeinflussen.
WBGU Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung. 2018. Digitalisierung: Worüber wir jetzt reden müssen.
Die Vereinten Nationen warnten, dass ohne eine bessere Performance der G20-Staaten, die für 75 Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich zeichnen, die UN Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung scheitern werde.
Hier ist vor allem auch das Konsumverhalten der reichen Industrieländer Gegenstand der Kritik.
Schätzungen, wonach die Weltbevölkerung bis 2050 auf 9,7 Milliarden ansteigt, werden die Menschen und den Planeten vor immense Herausforderungen stellen. Asiens Aufstieg wird zweifelsohne auch zu höherer Energienachfrage, mehr Konsum und Produktion führen.
Dafür ist eine öffentliche Diskussion über einen breiten Ansatz von Nachhaltigkeit nötig. Das ist keine rückwärtsgewandte «Öko-Agenda», sondern es sind überfällige Reformen für wirtschaftliche Modernisierung, Klimaschutz und Innovation.
Sabina Wölkner. Agenda 2030: Mut zur Nachhaltigkeit! Konrad Adenauerstiftung. 2019
Unser Dilemma als umweltbewusste Wohlstandsbürger
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Wollen wir wohlhabenden Menschen uns für den Schutz der Umwelt einsetzen, müssen wir heute - so wird uns Konsumenten gesagt - bloss in den Supermarkt gehen. Dort gibt es jetzt überall nachhaltige und umweltfreundliche Produkte.
Wir können also scheinbar sorglos immer mehr konsumieren und damit der Umwelt sogar etwas Gutes tun. Fast kein Produkt - vom Klopapier bis zum Auto - wird mehr verkauft ohne das Versprechen, dass man die Welt dadurch ein wenig besser mache.
«Kauf mich und mach diese Welt ein kleines Stückchen besser» - so lautet die zentrale Marketing-Botschaft nachhaltiger Marken. Der Markt werde das Klimaproblem schon richten, wird argumentiert: Man müsse nicht weniger konsumieren, sondern eben nur anders.
Jetzt wird dieses Verhalten aber tagtäglich durch Meldungen über die Folgen unseres Tuns erschüttert.
Was wir als nachhaltig konsumieren, hinterlässt so oft woanders auf der Welt trotzdem Armut und Zerstörung der Umwelt.
Gemäss Marcus Jauer. Tages-Anzeiger 10.12.2018 und Sebastian Schoep. Tages-Anzeiger 06.06.2019
© Ulrich Brunner 2024. Hintergrund Bild ©
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Wer also wirklich etwas ändern will, kommt um ein Nachdenken über das Dogma des «IMMER MEHR» nicht herum.
Kein intelligenter Mensch glaubt noch daran, dass das bestehende Wirtschaftssystem und das Konsumniveau der Gegenwart sich noch auf ein oder zwei Generationen fortsetzen lassen, ein Gedanke, der um 1900 oder 1950 noch selbstverständlich gewesen wäre. Das macht deutlich: Wir befinden uns am Ende von etwas.
Blom Philipp. 2020. Das grosse Welttheater. Von der Macht der Vorstellungskraft in Zeiten des Umbruchs.
Da Einschränkungen des Konsums aufgrund der nicht gewollten wirtschaftlichen und sozialen Folgen gar nicht angestrebt werden, fokussieren sich Wirtschaft und Politik auf eine Strategie der Versprechungen und die Konsumenten auf symbolische Ersatzhandlungen.
Das Gebot der Stunde lautet z.B. weniger Autos, weniger Kreuzfahrten und kleinere Wohnungen. Doch dazu wird es nicht kommen. In der auf wirtschaftliches Wachstum und Konsumismus geeichten kapitalistischen Moderne ist eine politisch verordnete Schrumpfung der Wirtschaft schlicht nicht durchsetzbar.
Beckert Jens. 2024. Verkaufte Zukunft. Warum der Kampf gegen Klimawandel zu scheitern droht.
Der Gedanke, dass der Konsum entsprechend den Bedürfnissen eines Planeten, den sich acht Milliarden Menschen teilen, begrenzt werden sollte, ist für viele, vor allem in den privilegierten Nationen, als individuelle Orientierung und als politisches Programm undenkbar.
Übersetzt von Anna Katsman. Planetary Commons. The New Institute. 25.05.2024
Dass die Vorstellung, auf einen Teil des gewonnenen Wohlstands verzichten zu müssen, Angst bereitet, ist verständlich. Da hilft es sich klarzumachen, dass sich ein erfülltes Leben nicht an der Zahl der unternommenen Kreuzfahrten oder der Grösse des Kleiderschranks bemessen lässt.
Verzicht wird nicht selten mit Verlust assoziiert, der für immer eine Lücke hinterlässt. Doch wo Lücken klaffen, entsteht auch Raum für Neues.
Silvia Liebrich. Wir müssen lernen zu verzichten. Süddeutsche Zeitung. 30. Juli 2022.
Verzichten müssen wir nicht auf Glück, Wohlbefinden und Gerechtigkeit, sondern auf Masslosigkeit, Überfluss, Stress und Konsumdekadenz.
Stefan Brunnhuber. 2023. Die Kunst der Transformation. Wie wir uns anpassen und die Welt verändern.
Verzichten heisst in reichen Ländern [...] eigentlich nicht mehr und nicht weniger, als darauf zu verzichten, den Planeten zu ruinieren und dafür die Lebensgrundlagen in der Zukunft zu erhalten. Das ist natürlich ein grosses Wort. Geht es nicht ein bisschen kleiner? Leider nein.
Maja Göpel. 2020. Unsere Welt neu denken. Eine Einladung.
Die Zeit drängt
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Die menschliche Entwicklung hat eine Ära zusammenhängender Krisen eingeläutet: Klimawandel, Umweltzerstörung, Krankheiten, Umweltverschmutzung und sozioökonomische Ungleichheit. [...]
Angetrieben durch Imperialismus, ausbeuterischen Kapitalismus und eine wachsende Bevölkerung überschreiten wir die materiellen Grenzen der Erde, zerstören kritische Ökosysteme und lösen irreversible Veränderungen in biophysikalischen Systemen aus, die die klimatische Stabilität des Holozäns*) gewährleisten und die menschliche Zivilisation begünstigt haben.
Es muss ein entscheidender Paradigmenwechsel stattfinden, der den ausbeuterischen, wohlstandsorientierten Kapitalismus durch ein Wirtschaftsmodell ersetzt, das Nachhaltigkeit, Widerstandsfähigkeit und Gerechtigkeit in den Vordergrund stellt.
Übersetzt von Charles Fletcher etal. Earth at risk: An urgent call to end the age of destruction and forge a just and sustainable future. PNAS Nexus, Volume 3, Issue 4, April 2024, page106
*) Das Holozän ist ein Abschnitt der Erdgeschichte, der etwa vor 12'000 Jahren begann und bis heute andauert. Die globalen Temperaturschwankungen betrugen in diesem Zeitraum durchschnittlich nur etwa 1° C.
Es eilt sehr. Ein Systemkollaps ist eine reale Gefahr.
Wir stehen vor gewaltigen Herausforderungen bedingt durch das rasante Bevölkerungswachstum, die Übernutzung der Ressourcen und die damit einhergehende Verschmutzung, den Verlust der Biodiversität, die Erderwärmung und insgesamt erleben wir einen schleichenden Verlust der Lebensgrundlagen.
Ernst Ulrich v. Weizsäcker und Anders Wijkman - Wir sind dran - Was wir ändern müssen, wenn wir bleiben wollen. Eine neue Aufklärung für eine volle Welt. 2018
© Alexandros
Michailidis
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Bei der Luftverschmutzung, der biologischen Vielfalt, beim Ausmass des Klimawandels und anderen Bereichen hat unser Planet Grenzen der Belastbarkeit. Grenzen, die eingehalten werden müssen, damit die Lebensgrundlagen für den Menschen gewahrt bleiben.
Sechs von neun planetarischen Grenzen haben wir bereits überschritten.
Planetare Grenzen: Neun Leitplanken für die Zukunft
Helmholtz Klima Initiative
Angesichts der existenziellen Bedrohung durch den Klimawandel, Unwetter, steigende Meeresspiegel, Verlust von Biodiversität, Ressourcenverknappung und die zunehmende wirtschaftliche Ungleichheit werden wir daran erinnert, wie wichtig es ist, eine nachhaltige Wirtschaft zu entwickeln, die ein Gleichgewicht zwischen wirtschaftlichen Fragen und sozialer und ökologischer Verantwortung schafft.
Schweizerischer Nationalfonds. 73 NFP Nachhaltige Wirtschaft. 2023
© Monkey Business Images | Shutterstock, Inc. [US] 2018
Die Lasten, die wir auf die nächste Generation abwälzen - von steigenden Staatsschulden, unterfinanzierten Renten, unzureichender Gesundheits- und Sozialfürsorge bis hin zur ökologischen Katastrophe - sind unfair, ungerecht und unverantwortlich.
Übersetzt von Mark Carney. Value(s) - Building a Better World for All. 2021.
Wie wollen wir das der nächsten Generation erklären, wenn wir jetzt nicht rasch und entschlossen alles tun, um die Lebensgrundlagen auf der Erde zu erhalten, anstatt einfach weiterzumachen wie bisher?
Wie will ich das den Kindern und Enkelkindern erklären, wenn ich jetzt nicht rasch und entschlossen meine Lebensweise zu ihren Gunsten ändere, anstatt einfach weiterzumachen wie bisher?
© chekart | Shutterstock, Inc. [US] 2022
Warum bleibt die von praktisch allen Seiten geforderte sozial-ökologische Transformation aus, obwohl doch Klimawandel, Artenverlust, Ressourcenauszehrung, die Zuspitzung sozialer Konflikte etc. zum Teil noch viel schneller voranschreiten, als Wissenschaftler und Aktivisten es vorausgesagt hatten?
Warum eigentlich zeigt die unendliche Vielzahl weithin bekannter Problemdiagnosen, Strategievorschläge und Handlungsaufrufe in der Praxis so wenig Wirkung und findet die sozial-ökologische Transformation einfach nicht statt?
Gemäss Ingolfur Blühdorn. Haben wir es gewollt? In: Nachhaltige Nicht-Nachhaltigkeit. 2020. Seiten 31-45